„Schatz, beeile dich. Wir müssen langsam los. In drei Stunden geht unser Flieger.“Ja, gerade in der jetzigen Phase war ich froh, meine Familie bei mir zu haben und einfach abschalten zu können.
Denn wieder einmal neigte sich ein Sommer dem Ende zu, die Bundesligasaison sollte bald losgehen und ich musste weiterhin Woche für Woche im Fernsehen zusehen, wie Spieler und Trainer um Siege und Titel kämpften.
Das konnte es einfach nicht sein. Der Fußball war und wird immer ein wichtiger Bestandteil meines Leben sein.
Ich liebe es einfach, Samstag für Samstag mit 60.000 fußballbegeisterten Fans meine Mannschaft zu feiern und dabei diesen unbeschreiblichen Kick zu bekommen.
Es ist einfach ein unvergleichliches Gefühl, wenn man weiß, dass die eigene Arbeit von Millionen Fans geschätzt wird und das Team nach 90 Minuten Angst und Schweiß letztlich den wohlverdienten Sieg eingefahren hat.
Doch seit ich im April letzten Jahres bei Schalke 04 entlassen wurde, durfte ich dieses Wechselbad der Gefühle nicht mehr miterleben, denn es hatte sich bisher kein für mich passender Verein finden können.
Zwar flogen einige lose Anfragen ambitionierter Vereine ein, aber ein richtiges Bemühen um meine Person konnte ich wahrlich nicht erkennen.
Jeden Tag, an dem ich zu Hause herum saß und nicht wusste, was ich anstellen sollte, merkte ich ein Stückchen mehr, wie sehr mir der Fußball fehlte.
Deshalb sah auch ich den Urlaub für den richtigen Schritt an, denn so kurz vor dem Saisonstart in der Fußballbundesliga würde sowieso kein Verein mehr an mich herantreten und es war nun einfach wichtig, ein wenig Abstand vom geliebten Sport zu nehmen und Zeit mit der Familie zu verbringen.
Meine Frau Sylvia und meine Kinder Marcel und Josephine wussten genau, wie schwierig die aktuelle Situation für mich war.
Doch sie gaben mir die nötige Kraft, um nicht in ein tiefes Loch zu fallen. Sie unterstützten mich, wie es ihnen nur möglich war. Ja, die eigene Familie ist nun mal das Wichtigste.
Nun sollte es also erst einmal für zwei Wochen ins schöne Spanien gehen – fern von jeglichem Fußballchaos.
„Schatz, komm jetzt. Wir sind schon spät genug dran“, holte mich meine Frau aus meinem Gedankengang und hatte wieder ihren aggressiven Unterton an sich.
Sie war wirklich eine klasse Frau, doch wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie ziemlich zickig werden. Aber das scheint in der Natur der Frauen zu liegen, was ich auch immer wieder von guten Freunden bestätigt bekomme.
Auch wenn mir diese Art gar nicht lieb war, wollte ich keinen Streit mit ihr beginnen, schließlich hatte sie in der Vergangenheit sehr viel für mich getan.
Ich erklärte ihr freundlich, dass ich sofort kommen würde und rief die Kinder heran.
„Ja, Papa. Wir kommen!“, entgegneten diese mir im Chor und rannten wie wild gewordene Hühner aus ihren Kinderzimmern.
„So, dann können wir ja jetzt endlich los."Wenn Sylvia irgendetwas hasste, war es Unpünktlichkeit. In diesem Punkt traute sich auch wirklich niemand, ihr zu widersprechen, denn im Hause Slomka gab es genau zwei Regeln:
1.Sylvia hat immer Recht.
2.Hat Sylvia einmal unrecht, tritt automatisch wieder Regel Nummer eins in Kraft.Diese Regeln galt es zu beachten, dann konnte man sich auf der sicheren Seite wiegen.
Die Kinder waren längst aus dem Haus gerannt; Sylvia wartete mit zwei schweren Koffern in der Hand und schon startbereit vor der Haustür auf mich.
Ich kramte in meiner Jackentasche, nahm den Autoschlüssel heraus und hielt ihr diesen symbolisch vor die Nase, da sie wiedereinmal die Befürchtung hatte, durch meine ruhige und teilweise zu gemütliche Art zu spät kommen zu müssen.
Gerade wollte ich die Haustür schließen, da klingelte das Telefon.
„Moment, Schatz", rief ich ihr entgegen und hing im nächsten Moment schon fast am Telefon.
Ich hörte noch, wie meine Frau mit bösem Ton hinter mir her rief, doch ich hatte das seltsame Gefühl, dass dieser Anruf wichtig sein könnte.
Ich bin normalerweise nicht der Typ, der stundenlange Telefonate führt, doch dieses Mal schien es – ich wusste nicht wieso dies der Fall war – etwas Anderes zu sein.
„Slomka.“„Hallo, Mirko. Hier ist Martin. Martin Kind.“„Oh, hallo. Der Präsident persönlich. Was verschafft mir die Ehre? Ich habe nämlich nicht viel Zeit.“„Okay, dann will ich auch nicht lange um den heißen Brei herum reden, Mirko. Wir möchten dich als neuen Trainer verpflichten.“„Moment, Moment. Ich...Ich kann dir nicht ganz folgen, Martin.“„Wie du sicherlich mitbekommen hast, hat die Investmentgruppe KoPa vor Kurzem 49% des Vereins erworben. Damit sie aber die volle Macht über den Klub haben kann, sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass man sich Wohl oder Übel von Herrn Schmadtke trennen muss. Ab sofort besetzt Erik Niersch das Manageramt. Er arbeitete zuvor als zentraler Vermittlungspraktikant bei der KoPa.Ich spürte zwar, wie meine zornige Frau immer näher an mich heran trat, um mir zu signalisieren, dass ich das Telefonat sofort beenden sollte, doch ich dachte nicht im Traum daran. Ich begann damit zwar einen bösen Regelverstoß, doch das interessierte mich in diesem Moment nicht wirklich.
Schließlich sollte dieses Gespräch über meine berufliche Zukunft entscheiden.
„Das überrascht mich jetzt aber. Von dem Einstieg der Investmentgruppe habe ich gehört, ja. Aber ich dachte, die wichtigen Positionen im Verein würden so bestehen bleiben, wie es auch vor dem Einstieg der Fall war.“„Ja, Mirko, das dachten wir auch. Aber wir hatten einfach keine andere Wahl. Dem Verein ging es nach dem enttäuschenden 11.Platz der Vorsaison finanziell schlechter als erwartet. Deshalb mussten wir etwas unternehmen.“ „Ich verstehe immer noch nicht so ganz...“„Die KoPa war überhaupt nicht zufrieden mit der Arbeit von Herrn Hecking und deshalb hat man ihn auch gleich entlassen.“„...Und...Und du, Martin? Bleibst du Präsident?“„Ja, vorerst schon. Aber so kann es einfach nicht weitergehen. Das ist nicht mehr mein Hannover 96. Du musst uns helfen, Mirko. Wir brauchen dich.“„Warte, warte. Also: Hannover steht sieben Tage vor dem ersten Pokalspiel ohne Trainer da, hat einen völlig unbekannten und unerfahrenen Manager und überhaupt keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Mit anderen Worten: Es herrscht das totale Chaos.“„Na ja...so würde ich das nicht sagen...Aber Mirko, ich weiß, dass du noch sehr an Hannover hängst. Nur ein Mann wie du es bist, kann den Verein wieder nach oben bringen.“„Danke, das ehrt mich natürlich. Aber ich weiß nicht so recht...“„Mirko, ich bin an dich herangetreten, weil ich hundertprozentig von dir überzeugt bin. Wie du weißt, ist das eigentlich gar nicht mein Aufgabengebiet. Aber dir ist bewusst, wie wichtig mir und der ganzen Stadt Hannover 96 ist. Bitte überlege dir, ob du das Angebot annimmst. Das Finanzielle dürfte durch die KoPa auch kein Problem sein.“„Stimmt. Aber das eigentliche Problem ist, dass ich jetzt schon auf dem Weg zum Flughafen sein sollte...“„Wie?“„
Ja, ich wollte noch heute nach Spanien fliegen."„Oh...Dann liegt es nun an dir, Mirko. Was ist dir wichtiger: Ein Urlaub in Spanien oder Hannover 96?"Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille. Ich war wirklich durch den Wind und konnte im ersten Moment noch gar nicht realisieren, was derzeit überhaupt geschah.
Auf der einen Seite stand meine Familie, die mich bisher immer unterstützt hatte, mit der ich in den Urlaub fahren wollte.
Auf der anderen Seite mein Verein – Hannover 96.
Immerhin war ich mehr als 13 Jahre in diesem Klub tätig; hatte Spieler wie Asamoah, Kehl und Mertesacker den Sprung zu den Profis ermöglicht und auch mit der ersten Mannschaft gemeinsam mit Ralf Rangnick Großes geleistet.
Ohne 96 wäre ich wohl niemals Cheftrainer von Schalke 04 geworden und hätte mir nie einen Namen in Deutschland erarbeiten können.
Damals hat der Verein mir geholfen. War es also meine Pflicht, in Krisensituationen Gleiches zu tun? Doch konnte ich meine Familie einfach so im Stich lassen und den Urlaub absagen?